Die Architektur Herrmann Leitenstorfers
Herrmann Leitenstorfer (1886-1972) legte eine geradlinige Karriere
in München hin: Er hatte ab 1908 als Praktikant bei Gabriel
von Seidl am Entwurf für das Deutsche Museum mitgearbeitet.
Anschließend plante er bei Friedrich von Thiersch am Palais
Bernheimer mit, und ab 1912 assistierte er Dr. Theodor Fischer beim
Entwurf für das Polizeipräsidium.
Er gewann 1918 den 1. Preis des Moosacher Architekten-Wettbewerbs
für die neue Kirche bei 67 eingegangenen Entwürfen; und
er betreute auch den Bau nach der etwas vereinfachten Planung.
In seine Zeit als Bauamtmann beim städtischen Hochbauamt (1920-47)
fallen neben dem Friedhof am Perlacher Forst, dem städtischen
Leihamt und dem Anbau an das Stadtmuseum, seine Entwürfe für
das Technische Rathaus (Blumenstr. 28b), dem ersten Hochhaus in
München überhaupt und eines der ersten in Deutschland.
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St. Martin nach der Fertigstellung |
Neoromanische Gestalt
Herrmann Leitenstorfer plante die St.-Martins-Kirche als eine lang
gestreckte, dreischiffige Pfeilerbasilika mit anschließendem
Turm. Im Grundriss ist das Mittelschiff am Eingang und im Chor um
jeweils ein Joch länger als die Seitenschiffe. Alle drei Schiffe
treten mit einer großen Konche aus der Nordwand heraus.
Liturgisch bedingte Raumbildung
Leitenstorfer nimmt mit dem Innenraum Bezug auf die seinerzeit durch
Romano Guardini verbreiteten Reformtendenzen der Liturgie: Sie unterstützten
die aktive Teilnahme der Laien am Messopfer und den Sakramenten. Vorher
galt Liturgie ausschließlich als Angelegenheit der Priester,
die an den Altären die Messe lasen. Mit Guardini war der Opferaspekt
in den Vordergrund gerückt. Deswegen wurde der Hauptaltars mit
schlichtem Opfertisch betont und der Altarraum stärker an die
Gemeinde herangerückt. In Moosach führte dies zu einer einfachen,
klar gegliederten lang gestreckten Raumanlage, die nur durch den Chor
und die Konchen erweitert wurde. Von dem breiten Mittelschiff aus
sollte die Gemeinde einen freien Blick auf den in der Apsis stehenden
Altar haben. Die Seitenschiffe waren zu schmalen Gängen reduziert.
Sie nahmen im Norden je einen Seitenaltar und im Süden die Beichtstühle
auf.
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St. Martins Fassade im
Stil der neuen Sachlichkeit |
Romanikrezeption und Neue Sachlichkeit
Mit dem Typus der flach gedeckten Pfeilerbasilika knüpft Leitenstorfer
an frühromanische Vorbilder an. Seine Form der Rezeption kam
dem damaligen Zeitgeschmack der Neuen Sachlichkeit entgegen: Er
strebte nämlich nach Klarheit und Geschlossenheit des Raumes
und er hob die Mauerflächen hervor. Beide Stilrichtungen lassen
sich unterschiedlich gewichtet an der Moosacher Kirche ablesen.
Die Grundformen und der Turm greifen romanische Prinzipien auf,
dagegen wird die Hauptfassade durch seinerzeit moderne Momente gegliedert.
Klarheit, Nüchternheit und Flächenbetonung sind auch im
Innern die vorherrschenden Gestaltungsmerkmale.
Stil als Ausdruck der Zeit
Mit diesem Stil entsprach Leitenstorfer dem Empfinden der Zeitgenossen.
Nach Krieg und Inflation sah man gerade in der Beschränkung
die künstlerische Herausforderung. Mit der Rückbesinnung
auf frühromanische Vorbilder glaubte man sich mit der Frühzeit
der Kirche verbunden und hoffte, darin neue Werte zu finden. Andererseits
fühlte man sich verpflichtet, nach dem Ersten Weltkrieg auch
in der Kirchenbaukunst neue Wege zu beschreiten. In München
konnte dies nur durch neue Materialien wie etwa Sichtbeton geschehen,
zumal sich Kardinal Faulhaber gegen avantgardistische Strömungen
wandte. So nimmt die Moosacher Basilika in der Reihe der damaligen
Sakralbauten einen würdigen Platz ein.
Lit: Monika Römisch, Kath. Pfarrkirche St. Martin München
Moosach, Lindenberg 1999
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